Choc  Collagen  Arbeiten 

Benedikt Ledebur

zu Peter Hofmann Girs Arbeiten anlässlich der Ausstellung „Die ZEIT als Kontext – 140 Jahre Rudolf Koppitz vs Peter Hofmann Gir“

Auf seiner Website unter dem Titel Cassiopeia und in der Unterabteilung Choc - Archiv findet sich unter den Abbildungen der Arbeiten Peter Hofmann Girs eine mit dem Titel "Baudelaire, Mal", 2020, 80 x 80 cm, die ich als paradigmatisch für seine Kunst herausgreifen will. Die Assoziation mit Baudelaires berühmter Gedichtsammlung ist damit nicht nur gegeben, sondern wird durch die Abbildung einer Hofmann Gir-Collage davor bestätigt: "Baudelaire, les fleurs du mal".

 Während diese Collage die fast verschwindende enigmatische Inskription "Soulagement et gloire uniques - La conscience dans le mal" (Erleichterung und einzigartiger Ruhm - Das Bewußtsein im Bösen) trägt, trägt die von mir zum Paradigma erklärte Arbeit die Inskription "Rien qu'un dessin fort pat aux trés crayons." (Nur eine sehr gute Zeichnung mit sehr guten Bleistiften)

Ein "dessin", eine Zeichnung, ist keine "ebauche", keine Skizze. Aber was unterscheidet sie von dieser. Sind die Konturen bei der Zeichnung ausgeführter, die Zwischenräume geschlossener, wird in der Zeichnung das, was gezeichnet wird, als Ganzes repräsentiert, während die Skizze die Konturen nur anreißt und den Betrachter zur Vervollständigung reizt?

Collagen sind Hybride, die Bild- wie Textmaterial in zeichenhafter Weise in die Komposition einbinden. Doch die hier zur Verhandlung stehende Collage wurde vom Autor selbst in die Nähe zur Zeichnung gebracht, und vielleicht sind ja gerade Collagen als Blickoberflächen geeignet, in gattungspezifische Richtungen zu tauchen, um den Ort ihrer Ingredienzien zu ermitteln.

Und weil hier die zeitgenössischen Arbeiten Peter Hofmann Girs den Fotografien von Rudolf Koppitz aus dem frühen 20. Jahrhundert gegenübergestellt werden, scheint auch die Frage gestellt nach dem Verhältnis der zeichnungshaften Collage oder der collagenhaften Zeichnung zur Fotografie und im speziellen zur Inszenierten Fotografie, die übrigens auch in den Arbeiten Peter Hofmann Girs auftaucht, zum Beispiel als "Vesper" von 2015, wo in einem herbstlichen Gelage Freundinnen und Freunde in symbolhaften Stellungen (als Maler, Kardinal, Verführerin etc.) versammelt werden, und diese Stellungen zur Interpretation auffordern, was soviel heißt wie, sie als Zeichen zu lesen.

Hier bin ich, die inszenierte Fotografie vorziehend, der Frage nach dem Verhältnis von Zeichnung zur Fotografie ausgewichen. Könnte man hier nicht in fast proportionaler Weise das Verhältnis von Skizze zur Zeichnung auf das Verhältnis von Zeichnung zur Fotografie übertragen? Natürlich spricht hier die Abstraktion als starke Vereinfachung auf vielen Ebenen mit. Gäbe es nicht die Schiffrierungen, die plastischen Ausgestaltungen durch Schattierungen etc., so könnte man die starke Vereinfachung fast zur zweiten Natur der Zeichnung erklären, während in der Fotografie die gesamte Fläche ausdifferenziert scheint.

Doch hier macht einem die inszenierte Schwarz-Weiss-Fotografie, wie die von Rudolf Koppitz, einen Strich durch die Rechnung in gattungspezifischen Proportionen. In seinen ikonischen Arbeiten aus den 20er Jahren zeigt sich, wie die Inszenierung im Bilden von Zwischenräumen das Herausarbeiten von geschwungenen Linien bedeutet, die im Jugendstil allgemein eine so tragende Rolle spielen. Oder macht das nur unser herausgreifender Blick? So wie sich jede Malerei, zumindest jede gute Malerei, zur Farbkomposition abstrahieren lässt und die Farbe, sonst Eigenschaft zur Ausdifferenzierung des Dargestellten und Repräsentierten, plötzlich als eigenständiges Medium nur noch den Proportionen und der Komposition des Bildes als Stück in Farben verpflichtet ist, lässt sich die inszenierte Schwarzweiß-Fotografie als von dem durch die Linse Festgehaltenen unabhängige Komposition von Linien und Konturen wahrnehmen, die sich beliebig nahe an die reine Zeichnung, das leere Ornament heranarbeiten kann.

Wenn die Skizze als das Unvollständige die offene Form repräsentiert, kann die reine Zeichnung als vollständig der geschlossenen Form gewidmet gesehen werden. Es gilt bei ihr nur noch die Form in ihren Dimensionen, die Ränder der Fläche als Grundkoordinaten, während die Collage als unreine Zeichnung ihr Gestückeltsein und die Gerissenheit der Ränder des in ihr Inkorporierten sichtbar lässt.

Was an den Collagen Peter Hofmann Girs auffällt, ist nicht nur ihre Nähe zur französischen Tradition, wie sie die Collagen der Surrealisten, von Man Ray, Picabia, Magritte, Max Ernst bis Braque, Picasso und Matisse bildet. Was in Peter Hofmann Girs Collagen auffällt ist auch die Rolle der Farbe Weiß, die die Elemente der Collagen zu verbinden scheint, aber auch übertünchen kann. Oft handelt es sich wirklich um Wandfarbe, wie auf den Arbeiten aus 2023/2024, die Hofmann unter dem mythologisch mit "Blindheit" aber auch mit "Zeichen" besetzten Namen "Teiresias" versammelt. Der blinde Seher weiß die Zeichen zu deuten. (nach Hesiod war Teiresias ein Priester des Zeus. Als Teiresias am Berg Kyllini auf ein Paar sich begattender Schlangen stieß und die weibliche tötete, wurde er in eine Frau verwandelt. Als er später eine männliche tötet, wird er zum Mann zurückverwandelt. Tereisias ist also ein Archetyp der Transgenderbewegung.) Weil es nichts zu sehen gibt, also nichts repräsentiert wird, wandelt sich die Darstellung zum Zeichen, und das Zeichen zur Stelle, die das Bild aufreibt, öffnet, zum "Blühen" bringt (siehe z.B. Peter Hofmann Girs große Arbeit von 2023 Teiresias #3, Öl, Wandfarbe, Acryl, Kreide, Bleistift, Holz auf Jute, 210 x 190 cm)

Roland Barthes, der für Cy Twombly die Rolle spielt, die der über Kunst schreibende Dichter Baudelaire zum Beispiel für den Maler Delacroix gespielt hat, nämlich eine Rolle, die das Ganze der zeichnerischen oder malerischen Annäherungen auf ein anderes Niveau hievt, schreibt (und dies scheint mir auch zu Arbeiten von Hofmann Gir zu passen): "In dieser Kette, die vom Schema zur Zeichnung geht und in deren Verlauf der Sinn sich allmählich verflüchtigt, um einem immer unnützeren "Profit" Platz zu machen, nimmt Twombly das äußerste Glied ein: Zeichen sind gelegentlich da, aber verblaßt, linkisch (wie gesagt), als ob es ganz gleichgültig wäre, daß man sie entziffere, vor allem aber sozusagen der letzte Stand der Malerei, ihr Bretterboden: das Papier."

Zurück zur anfänglich angesprochenen Arbeit "Mal" von 2020, die ja nicht nur in blasser Schrift die Verbindung zum "dessin" zur "Zeichnung" hergestellt hat, sondern in starken schwarzen Majuskeln den Schriftzug von MAL wiedergibt, der nicht nur "La conscience dans le mal", das "Bewußtsein im Bösen" der vorhergehenden Arbeit wieder aufnimmt, sondern der zum MERKMAL, zu einer ins Auge stechenden Eigenschaft des Bildes wird. Das reine Nichts hat, bis die Skizze etwas entwirft, nichts zu sagen. Das Merkmal, die Eigenschaft wird zu etwas Bösem, weil sie als Schriftbild den Anfang zu einer Repräsentation setzt. Die Eigenschaften, weil zum Welken bestimmt, sind echte Blüten, die die Rechnung, ob sich das in den bösen Blumen Dargestellte ausgeht, offen lassen. Da ich letztens bei einem Treffen mit Peter Hofmann Gir im Studio Rudolf Polanszkys, wo wir über diese Ausstellung hier sprachen, die erste Strophe eines Gedichtes von Charles Baudelaire zitierte, will ich hier zum Abschluß das ganze Gedicht aus "Les fleurs du mal" rezitieren:

XIV  

L' HOMME ET LA MER

Homme libre, toujours tu chériras la mer!

La mer est ton miroir; tu contemples ton âme

Dans le déroulement infini de sa lame,

Et ton esprit n'est pas un gouffre moins amer.

Tu te plais à plonger au sein de ton image;

Tu l'embrasses des yeux et des bras, e ton coeur

Se distrait quelquefois de sa propre rumeur

Au bruit de cette plainte indomptable et sauvage.

Vous êtes tous les deux ténébreux et discrets:

Homme, nul n'a sondé le fond de tes abîmes;

Ô mer, nul ne connaît tes richesses intimes,

Tant vous êtes jaloux de garder vos secrets!

Et cependant voilà des siècles innombrables

Que vous vous combattez sans pitié ni remord,

Tellement vous aimez le carnage et la mort,

Ô lutteurs éternels, ô frères implacables!

Ich rezitiere Ihnen auch eine neue Übersetzung ins Deutsche von Simon Werle:

DER MENSCH UND DAS MEER

Das Meer wirst, freier Mensch, du lieben allezeit!

Das Meer ist dir ein Spiegel; deine eigene Seele

Schaust du im endlosen Gewoge seiner Welle,

Und Abgrund ist dein Geist nicht minderer Bitterkeit.

Lustvoll tauchst due hinunter in dein Ebenbild,

Umfängst's mit Arm und Aug, und manchmal sagt

Dein Herz sich los von seinem eigenen Takt

Im Rauschen dieser Klage, unzähmbar und wild.

Voll Dunkel haltet beide ihr euch stets bedeckt:

Nie, Mensch, hat jemand deine Untiefen durchdrungen;

Nie, Meer, dir deines Innern Schätze je entrungen,

So eifersüchtig hütet ihr, was ihr versteckt!

Und dennoch liegt seit ungemessenen Zeiten

Ihr miteinander ohne Reue gnadenlos im Krieg,

So sehr sind euch der Tod und das Gemetzel lieb,

O Kämpfer stets, o Brüder ihr, verdammt zum Streiten!

 

 

"Baudelaire, Les fleurs du mal", 2020, 80 x 120cm

"Baudelaire, Mal", 2020, 80 x 80cm